Jos Freiherr von Zedlitz

28 February 1790 - 16 March 1862 / Javorník

Todtenkränze V.

Und wieder weiter zogen wir, zur Linken
Die Rhone lassend und die weiten Strecken,
Die sie durchzieht, wenn von des Gotthards Schwelle,
Den nie geschmolzne Schneelawinen decken,
Sie herrauscht, um im See dort zu versinken,
Den Milch der Gletscher füllt mit klarer Welle;
Bis sie mit neuer Schnelle,
Sich ihm entringend, niederstürzt zum Meere! -
Zur Rechten aber, an den Apenninen,
Die wie von Rosen aufgethürmet schienen,
Lag Genua, die königliche, hehre,
Im Golf gebadet der ligust′schen Wogen,
Mit unnennbarer Pracht, in weitem Bogen! -

Wir aber zogen mitten innen weiter,
Hindurch die Alpen, wo der Po entspringet,
Und durch die schönsten, anmuthreichsten Auen
Der Erde sich, ein Silberfaden, schlinget. -
Vor unsern Blicken, wolkenlos und heiter,
War, eingehägt von dem Gebirg, dem rauhen,
Die Lombardei zu schauen;
Ein Paradies, das sich dem Aug′ erschließet!
Wo alle Reize sich und alle Wonnen
In wollustvollem Uebermuthe sonnen,
Die Sprache üppig wie Gesänge fließet!
Dieß Land durchzogen wir, dem keines gleichet,
Bis wir auf′s Neu die Alpen fast erreichet.
»Nach jener alten Stadt, die sich erhebet
Im ebnen Thal, am Fuß der Bergesreihen,
Der julischen, die rings die Grenz′ umgehen
Vom Land Tyrol, dem allezeit getreuen;
Am schnellen Strom der Etsch, der feurig strebet,
Den Garten von Italien zu sehen!
Hin, wo die Trümmer stehen
Der hohen Römerwelt, daß unsrer Tage
Ohnmacht an ihrer Größe sich beweise,
Hin nach Verona lenken wir die Reise. -
Dort zeig′ ein Grab ich Dir, wohl werth der Klage,
Und Romeo′s und Julia′s Geschicke,
Sie mögen reden Dir vom Liebesglücke!

Zwei Wesen in der Jugend Maienkleide
Begegnen sich zur wolkenlosen Stunde;
Noch hat ihr Mund sein Schweigen nicht gebrochen,
Und dennoch stehn die Herzen schon im Bunde!
Die stummen Lippen schwören Liebeseide,
Das Auge hört, was klanglos sie gesprochen,
Die Busen wogen, pochen,
Die Thränen glänzen, und die Seelen fließen
Ueber im Strome neuentstandner Wonnen,
Und halten unzertrennbar sich umsponnen,
Eh′ noch die Arme sehnend sich umschließen!
Doch wie im ersten Kuß sie sich umfangen,
Berührt des Todes Athem ihre Wangen! -

Zu Haß und Grimm erzeuget und entflammet,
Sind sie bestimmt, den alten Groll zu hegen,
Der Eltern bittre Feindschaft zu vererben! -
Fluch! ruft Dir Capulet, wärst Du verwegen,
Ein Montagu, Du, deinem Feind entstammet,
Um Julia′s Liebe, Romeo, zu werben?
Eh′ müßte Julia sterben,
Eh′ Montagu sie seine Tochter nennet! -
Doch jene, unbekümmert, welche Räume
Sich zwischen sie gestellt und ihre Träume,
Sie achten nicht den Wahnsinn, der sie trennet
Da Wahnsinn, der viel süßer ihnen scheinet,
Sie schon beim ersten holden Blick vereinet!

Die Erstlingsblüthen selig abzupflücken,
Sehn zu geheimer Ehe wir sie eilen!
O süß Umschlingen, wonnevolles Beben,
O holde Lippen, die den Athem theilen,
Beglückter Liebe ungeahnt Entzücken! -
So weinen, überfüllt von Saft und Leben,
Im Mai die brünst′gen Reben,
Wie Jen′ in wollustvollen Thränen walten!
Wie strömt Entzücken Euch aus tausend Quellen,
Ihr fühlt das Herz Euch übermächtig schwellen,
Kaum in der Brust vermögt Ihr es zu halten!
In alle Lüfte möchtet Ihr sie rufen
Die Seligkeit, die Lieb′ und Stille schufen! -
Da wandelt das Geschick mit arger Tücke
Die heitre Scene der verborgnen Wonne;
Die Stürme, die geschlafen, sind erwachet,
Und Dunkel webet dicht sich um die Sonne
Von ihrem kaum entglommnen Liebesglücke!
Der alte Haß ist wieder angefachet
Und seine Furie lachet
Der Zärtlichkeit, die ihre Herzen bindet!
Umsonst sehn Julia, ihrer Wuth zu wehren,
Wir jenen schaudervollen Becher leeren,
Scheinbaren Todes! Ach, zu bald nur findet
Den wahren sie, den Romeo erwählet,
Und dem sie selbst, verzweifelnd, sich vermählet!

»Sieh hier in Einem Grabe sie gesellet!«
So sprach der Geist: - »Das ist das Loos auf Erden,
Das wir der Liebe aufbewahret sehen! -
Gebrochen muß der Baum vom Sturme werden,
Und wird er′s nicht, so schaun wir bald entstellet,
Vertrocknet, laublos seine Wipfel stehen!
Vergessen und Vergehen!
Das ist ihr Ende! Steht sie voll in Aehren,
Kommt sie der Tod zu mähn; wo nicht, zerstäubet
Sie allgemach, daß kaum die Hülse bleibet;
Der Boden will den Kern nicht fürder nähren!
Doch welche Frist auch immer ihr beschieden,
Stets währt sie viel zu lang für Euern Frieden!

Mißgünstiger Geist! warum willst Du mich höhnen?
Warum - antwortet′ ich - willst Du mir rauben,
Was mich beglückt, was mir die Welt geschmücket,
Was in mir lebte wandellos: den Glauben
An jene Gaben, die das Seyn verschönen? -
Und wär′ es so, hätt′ uns ein Wahn berücket,
Phantome uns entzücket:
Ein Glück doch lebt, lebt, weil′s, bewußtes Träumen,
Entbehren kann, was ist; weil, vielgestaltet,
Es Schein und Wahrheit bindet und entfaltet,
Die Erd′ emporhebt zu den Himmelsräumen,
Und mit allmächt′gem, schöpferischem Werde
Den Himmel jauchzend niederführt zur Erde!

Unscheinbar Saitenspiel, einfache Lieder,
Die ihm enthallen, anspruchlose Töne,
Ihr sollt nicht leben in dem Mund der Zeiten,
Gleich denen jener Priester der Kamöne,
Die, wie die ew′gen Sterne, auf und nieder
Durch kommende Aeonen werden schreiten!
Und doch, ihr schwachen Saiten,
Hör′ ich euch oft im Lebenssturme rauschen,
Gleich Schwänen, die im stillen Frieden schwimmen,
Ob auch die Woge schäumt, Orkan′ ergrimmen!
Um welche Gabe möcht′ ich euch vertauschen?
Wie Davids Harfe fremden Schmerz bezwungen,
Seyd meinem eignen tröstend ihr erklungen! -
53.
»Vielleicht auch nicht! - Wer weiß es zu entscheiden.« -
Begann der Geist mir, höhnend, zu erwiedern -
»Ob mehr ein Glück, ob mehr noch Qual zu nennen,
Was oft gewehet in der Sänger Liedern?
Begeist′rung ist ein Born von herben Leiden,
Obwohl von edlen nur, ich will′s bekennen! -
Wie Phaetons Rosse rennen,
Die er, zu schwach, vergebens sucht zu zügeln,
Führt Euch, entfesselt, auf bahnlosen Wegen,
Die Phantasie dem Abgrund oft entgegen,
Die himmelwärts ihr meintet zu beflügeln.
Auf! laß uns sehn, wie solche Geister enden,
Und hin zum Weichbild Roms die Reise wenden!
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