Anton Wildgans

17 April 1881 - 3 May 1932 / Vienna

Im Park von Fontainebleau

Sie trafen sich im Park von Fontainebleau
An einem veilchenblauen Maientag:
Sie, die Marquise Maud von Mochateau,
Und er, der Chevalier von Casagnac.
Sie schritten durch das Schloß — und wie ein Tuch
Aus tiefem Purpur, perlenüberstickt,
Erfüllt von feinem, sündhaftem Geruch,
Entfaltete der Chevalier geschickt
Des Ortes heimlichste Vergangenheit,
Indessen sie, mit Augen starr und weit,
Nach jenen lüsterreichen Fernen blickt
Voll heißer Sinne und gekrönter Stirnen —
Nach Frankreichs Mächtigen und ihren Dirnen.

Und dann, entlassen aus dem schweren Duft
Der alten Säle und verträumten Räume,
Schreien sie lässig durch die Frühlingsluft
Auf leisem Kies im Schattenkühl der Bäume.
Der Chevalier ist immer noch entrückt
Und schwärmt von all der Frauen hoher Huld,
Die groß im Lieben, größer in der Schuld,
Mit Geist und Körper Könige entzückt.
Ihm dünkt die tote Zeit ein Paradies —
„Sie sind ein Dichter', flüstert die Marquise.
Und er danach: „Vielleicht — wenn Dichten heißt,
Dem kleinsten Zauber gern sich hinzugeben —

Wenn Dichten heißt: in sich zu Ende leben,
Halbes zu Ganzem, Wirkliches zu Geist —
Wenn es bedeutet: nichts ergreifen dürfen,
In dunklem Schacht nach edlem Golde schürfen,
Das dann durch loser Spieler Hände kreist —
Wenn Dichter ist, wer jedes Ding beseelt
Und doch ein Bettler ist in dieser Welt —
Wenn Dichter ist, wer seiner selbst sich schämt
Und recht gibt, wenn der Pöbel ihn verfemt —

Ich weiß, man lächelt über unsre Gleichen,
Weil wir gezimmert sind aus andrem Holz,
Und unverzeihlich dünkt der Welt der Stolz,
Der unsre Stirnen krönt mit schlichten Zeichen.
Man findet, daß mir uns begnügen sollten
Mit jenem Rest, von anderen benagt;
Denn wer nicht f r ü h e r zuzugreifen wagt,
Muß essen, was die andern nimmer wollten.
So liebte ich vor langer Zeit ein Weib —
Mein Gott, man war verliebt und jung und dumm
Und sah in jeder Frau ein Heiligtum
Und glaubte mehr zu sein als Zeitvertreib.
Von Versen sprech' ich nicht, die ich ihr schrieb —
Im Gegenteil, die waren sicher schlecht,
Allein, Marquise, das Gefühl war echt,
Und jedes Wort verriet: ich hab' dich lieb —!

Und doch, was denken und was taten Sie,
Daß mein Verhängnis ward bei ihr - ?
Nichts, als daß ich ein schlichter Kavalier,
Nicht reich genug und leider nicht - Marquis."

Der Chevalier verneigt sich - die Marquise steht
Erst etwas blaß und ratlos, aber dann
Sucht sie ein Wort, mit dem sie treffen kann,
Und findet es und lächelt bös: „Poet -"

Im Park von Fontainebleau - ein Maientag,
Voll Duft und Summen, Vogelruf und Gold -
Zwei Zäume knirsche, die Kalesche rollt,
Und immer ferner tönt der Hufe Schlag -
Und er, noch immer lehnend am Portal,
Lauscht ihnen nach, doch dann mit einem Mal -

Was weint der Chevalier von Cassagnac - ? . . .
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